Die Reiseleiterin
Als vor mehr als zwanzig Jahren die erste Gartenreise stattfand, war nicht nur bei den knapp dreißig Reiseteilnehmern, sondern auch bei mir die Aufregung groß: Endlich ins Land der Gartenträume! Doch wie wird das werden – keine Ortskenntnisse, das „Garten“-Englisch auch nicht das Beste…
Da stand sie am Flughafen und nahm uns allen die Unsicherheit: Geertje – unsere Reiseleiterin. „Resch“ war sie und ließ keine Diskussionen aufkommen, wusste alles, was Queen und Charles so trieben. Kannte sich bei jeder Straßenkreuzung genau aus, wohin es ging, nur: „Über den Garten da sprichst du, da bin ich nicht so sicher“.
Ihr niederländisches Deutsch mit englischem Einschlag, dazu die hohe Stimme, die vielen Witzchen zwischendurch und die Engelsgeduld bei den typischen Fragen von Reisenden: „Wie tief ist die Themse?“, „Wie alt ist das Haus?“ oder „Wie hoch wird der Baum?“, beantwortete sie mit viel Charme und Energie – ohne genaue Angaben zu machen. „Das merken sie sich nie – meine Damen und Herren.“ Aus dieser ersten Reise wurde eine Tradition – keine Reise ohne Geertje. Und auch die Zusammenarbeit wurde von Mal zu Mal besser. Ja es ging schließlich so weit, dass wir ganz enge Freunde wurden. Meine Frau und ich besuchten die Familie in England. Sie mit Familie uns.
Bei den langen Fahrten mit dem Auto quer durchs Land gab es viel Zeit zum Erzählen – da lernte ich über die Jahre Land und Leute und die Geertje in allen ihren Facetten kennen. Ihre nun so richtig aufgeflammte Liebe zum Garten und zu den österreichischen Gartenreisenden.
Dennoch blieb sie „resch und resolut“ – wie ihre Kolleginnen sie beschrieben, aber mit einem ganz weichen Herz. Und das stimmte exakt. Die Reisen klappten perfekt und ich sagte immer: So lange du mit dabei bist, mache ich weiter…
Irgendwann, auf einer langen Fahrt von Cornwall zurück nach London, erzählte sie mir: „Ich hab Leukämie“ – und sofort kam die für Geertje so typische energische Aufforderung: „Aber du machst weiter“. Traurigkeit ließ sie überhaupt nicht aufkommen und dank eines sehr langsamen Verlaufs verliefen die nächsten Jahre wie immer – perfekt und mit viel Humor: „Das hat man hier so…“!
Als wieder einmal die Vorbereitungsfahrt anstand und ich nach London flog, verhielt sie sich ungewöhnlich zurückhaltend. Ich solle fahren, sagte sie mir schon am Telefon, ihr gehe es nicht so gut. Gesagt getan. Wir starteten und waren bei der Suche nach neuen privaten Gärten extrem erfolgreich. Doch diese Vorreise war schon ganz anders, sie blieb im Wagen sitzen, die Landkarten waren nur noch Dekoration – das Navi musste einspringen.
Monatelang war sie im Krankenhaus und als die Reise im Mai stattfand, musste sie nach vielen Jahren absagen. Eine Nachfolgerin hat sie aber gleich parat gehabt – „damit du weitermachst“! Ich hab sie noch im Krankenhaus besucht und es schien sich der Zustand zu stabilisieren, doch wenige Tage später kam der Anruf – von ihr: „Karl, komm schnell, ich halte nicht mehr lange durch“. Das Telefonat war für mich extrem bedrückend – ich konnte nicht innerhalb von Stunden nach London fliegen. Geertje – noch immer resolut – war enttäuscht. Was tun?
Ihre Anrufe kamen nun Tag für Tag – „Wann kommst du?“ Ihr Mann war mit mir in Kontakt und verriet den wahren Hintergrund: „Du musst ihr versprechen, dass du die Gartenreisen weitermachst, mehr will sie nicht“. Und: „Sie will daheim sterben – mit Blick in ihren Garten“! Die Wünsche wurden ihr erfüllt und auch mein letztes Telefonat mit Geertje machte sie zufrieden. Mit leiser gebrochener Stimme erzählte sie mir von den blühenden Bluebells, den so typischen englischen Frühlingsboten und dann kam noch einmal die „energische“ Geertje: „Schwöre, dass du mit den Reisen nicht aufhörst, du machst so viele Menschen damit glücklich“. Dieses Ehrenwort gab ich!
Am Abend ist Geertje mit Blick in den Frühlingsgarten gestorben ist. Bei der Gartenreise im Mai hielten wir dann eine Trauerfeier – ich musste die Trauerrede halten. Geertje hätte gesagt: „Na ja, geht schon so“. Mit ihrer Nachfolgerin gibt es seither schon wieder mehr als zehn Reisen – die Personalauswahl von Geertje war perfekt.